Reformiert, was ist das?

Was bedeutet "evangelisch-reformierte Kirche" ?


Herr B. ist nach Dornholzhausen umgezogen. Auf dem Einwohnermeldeamt trägt er als Konfession ein: "Evangelisch". Nach dem ersten Gottesdienstbesuch fragt er: "Warum steht denn auf dem Altar kein Kreuz und warum gibt es bei Ihnen keine Liturgie?"
Der Pfarrer antwortet, dass dies eine reformierte Gemeinde ist. Verwundert fragt er zurück: "Muss es das noch geben im Zeitalter der Ökumene? Lutherisch, reformiert, spielt denn das noch eine Rolle, sind wir nicht alle evangelisch?"

Die Frage ist nicht einfach zu beantworten, es gibt sicher Wichtigeres als das reformierte Profil herauszumeißeln oder das eigene Firmenschild blankzuputzen. Reformierten geht es dementsprechend auch nie in erster Linie um das Reformiertsein. Ihr Thema ist vielmehr Jesus Christus und das Reich, das er bringt. Und der dreieinige Gott, die Bibel, die Taufe und der Glaube verbinden Reformierte mit den anderen christlichen Kirchen. Daher sind sie nie gegen die Katholiken oder gegen die Lutheraner oder gegen irgendwelche andere reformiert.

Die mit dem Namen Martin Luther verbundene Reformation wandte sich gegen eine Kirche, die von Angst und Gesetzlichkeit geprägt war. Luther setzte dem die Freiheit des Evangeliums und den Gehorsam auf die Schrift gegenüber. Die Reformierten gehören, bis auf Zwingli, eigentlich zur zweiten Generation. Ihr Gegenüber war nicht in erster Linie die gesetzlich erstarrte machtvolle Kirche, sondern der weit fortgeschrittene Säkularismus. Calvin fand in Genf einen Stadtstaat vor, in dem das Wort Gottes leichtfertig beiseite geschoben war. Diese Herausforderung führte nicht zu einer anderen Reformation, wohl aber zu deren konsequenten Weiterführung: Konsequenzen, resultierend aus der Spannung des wiederentdeckten Evangeliums und der geänderten Gesellschaft, Kultur und Politik. Zur lutherischen Gewissens-Frömmigkeit kam so die reformierte Weltzugewandtheit.

Die Reformatoren Zwingli, Calvin, Bullinger, Butzer und Beza waren keine Revolutionäre, sondern nüchterne Prediger. So verfolgten sie auch keine programmatischen Ziele, sondern vertrauten auf die Macht der Gnade, die durch die Verkündigung zur Wirkung kommt und zum Gehorsam befreit. Von diesem Grundsatz lassen sich viele Wesensmerkmale reformierter Gemeinden verstehen. Im Mittelpunkt steht die "vox evangelii" - das Hören auf die "lebendige Stimme des Evangeliums". Lesungen und Gebete zielen auf die Predigt hin, der anbetende Lobpreis wird mit Psalmen vollzogen. Alles, was von diesem Zentrum ablenkte, wurde verbannt (Bildersturm).

Daher auch die Schlichtheit der reformierten Kirchen. Die Kanzel steht in der Mitte der Kirche, auf dem Abendmahlstisch (kein Altar!) liegt die aufgeschlagene Bibel. Drängt die Kirchenmusik unangemessen nach vorn, verführen Kerzen zu einer falschen Feierlichkeit, dann haben sie nach Ansicht der Reformierten in der Kirche nichts zu suchen. Das "sola scriptura" (=allein die Schrift) Luthers ist konsequent weitergeführt worden.

Es wird immer wieder kritisiert, ein solcher Gottesdienst ohne sakrale und kultische Elemente sei zu wortbezogen, zu nüchtern für die Menschen der heutigen Zeit, zu kopflastig und intellektuell. Ich weiß nicht, ob diese Stimmen Recht haben, doch die bewusste Konzentration auf den allein im Wort gegenwärtigen Herrn hat den Reformierten immer wieder geholfen, die Welt nicht in eine sakrale und profane Wirklichkeit aufzuteilen, sondern das ganze Leben unter den Willen Gottes zu stellen.

Gott allein ist Herr. Alle Kirchen sagen das. Wie hoch sind aber zuweilen die Mauern, hinter denen sich auch Profi-Christen gegen die Herrschaft Gottes absichern? Hat da Christus wirklich noch eine Chance beim Regieren gegen die großen und kleinen Päpste, auch in der evangelischen Kirche? Ist das Wort Gottes, um das sich seine Gemeinde versammelt, nicht längst abgelöst von der Institution, dem reibungslosen Finanzsystem mittels Staatsvertrag? Die babylonische Gefangenschaft der Kirche, von der Luther sprach, bleibt eine dauernde Gefahr. Von ihren Anfängen her kennt die reformierte Kirche diese Problematik. Ihre Gemeinden entstanden nicht durch Anordnungen von "oben". Hierarchische Herrschaftsstrukturen lehnt sie ab. Natürlich müssen um der Ordnung willen bestimmte Funktionen von beauftragten Gemeindegliedern wahrgenommen werden, aber die Amtsträger haben keinen Vorrang. Gott allein regiert die Gemeinschaft, und als Leib Christi hat die ganze Gemeinde den Auftrag, Gottes Wort weiterzutragen (vgl. Luthers Priestertum aller Gläubigen).

Der Heidelberger Katechismus


Obwohl die Reformierte Kirche keine für alle verbindliche Sammlung von Bekenntnisschriften kennt, gilt der 1563 von dem Pfälzer Kurfürsten Friedrich II., Kaspar Olevianus und Zacharias Ursinus verfasste Heidelberger Katechismus als Bindeglied zwischen den reformierten Kirchen. In 129 Fragen und Antworten spricht er über
1. des Menschen Elend,
2. seine durch Christus geschehene Befreiung
3. seine durch Gottes Wort und Geist ermöglichte dankbare Lebensführung.
Das apostolische Glaubensbekenntnis, die reformierte Rechtfertigungslehre, die Sakramentslehre sowie die Buß– und Heiligungslehre mit den 10 Geboten und dem Vaterunser werden ebenfalls im Heidelberger Katechismus entfaltet.

"Was ist dein einziger Trost im Leben und Sterben?", so heißt die weltberühmte Frage und die Antwort lautet: "Dass ich mit Leib und Seele, beides, im Leben und Sterben, nicht mein, sondern meines getreuen Heilandes Jesu Christi eigen bin."
Im ganzen Katechismus wird sehr persönlich von Buße, Bekehrung und dem geistgewirkten Leben in der Dankbarkeit des Glaubens gesprochen. Kein Wunder, dass es häufig zu einer engen Verbindung von Pietismus und reformierter Tradition gekommen ist. Das reformierte Element hat dabei dafür gesorgt, dass die Frömmigkeit nicht sektiererisch oder überheblich wurde, sondern biblisch nüchtern und weltzugewandt. Die Geltung der Gebote Gottes für die Christen ist in reformierten Gemeinden unverzichtbarer Bestandteil. Die Auswirkungen dieser Erkenntnis für das öffentliche Leben, für Wirtschaft und Handel, für Politik und Kultur waren lange Zeit deutlich (Amerikanische Verfassung).

Das Verhältnis der Reformierten zu anderen Konfessionen versteht sich nicht nur als ein bloßes ökumenisches Nebeneinander, sondern im gemeinsamen Austausch und Gespräch über das Wort Gottes. Diese Offenheit zum Dialog ist prägend, wobei es nicht um das Aufsuchen des größt-möglichen gemeinsamen Nenners aller Konfessionen, schon gar nicht um eine uniformierte Superkirche, geht. Ökumene im reformierten Sinne sucht vielmehr qualifizierte Gemeinsamkeit auf Basis versöhnter Verschiedenheit.

Die Bekenntnisse der Reformationszeit haben bei den Reformierten insgesamt einen hohen Rang, allerdings keinen konstituierenden Grundstatus. Bekenntnisse sind nicht "unantastbar", sondern wollen immer neu an der Heiligen Schrift überprüft und für die Gegenwart fruchtbar gemacht werden. Reformiertsein ist demnach eher eine Haltung und Verhaltensweise, als eine Konfession. Die besonderen Merkmale dieser Haltung sind Offenheit für Gott und für die Not des Nächsten. Als "ecclesia semper reformanda" (=immer neu zu reformierende Kirche) streckt sich die Reformierte Kirche nach dem kommenden Reich Gottes, dessen Herold und Vorzeichen sie sein möchte.

Sind wir noch reformiert? Nein die Frage müsste richtiger lauten: Sind wir schon reformiert? „Es gilt immer wieder neu aufzubrechen, umzukehren und zu bekennen“, wie Karl Barth in seinem letzten Aufsatz formulierte.
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