Victor Achard und sein Geld

von Annemarie Bünte

Der erste Achard ist 1687 aus Estableau/Dauphine nach Friedrichsdorf eingewandert. Schon 1746 sind aber einige Friedrichsdorfer wegen der „nahrungsschlechten Zeiten“ und mit der Hoffnung auf günstigere Steuererleichterungen nach Dornholzhausen übersiedelt. Als Hugenotten fühlten sie sich den Waldensern geistesverwandt. Ihrer beider ursprüngliche Heimat war Frankreich, sie waren Protestanten, sie waren verfolgt worden, sie sprachen französisch.

In unseren französisch geschriebenen Kirchenbüchern lassen sich zwei Familien Achard ausmachen. Sie werden bezeichnet als „Bürger von Friedrichsdorf, wohnhaft in Dornholzhausen.“ Besonders bemerkenswert unter ihnen ist Louis Achard (geb. 1808), der von 1843-1860 mit wenigen Monaten Unterbrechung Schultheiß und Bürgermeister von Dornholzhausen war. Er hatte 1837 eine Verwandte aus Friedrichsdorf, Marie Christine Achard, geheiratet. Der dritte Sohn aus dieser Ehe ist unser Jean Victor, geboren 25.3.1842. Pfarrer Auguste Frederic Couvert, damals schon schwer erkrankt, taufte den Knaben am 16. Mai. Paten waren der Bruder seiner Mutter und dessen Frau. Als Victor 9 Jahre alt war, starb sein jüngster Bruder, als er 12 war die Mutter.
Victor AchardVictor Achard
Rückblickend auf seine Kindheit schrieb er später, er sei einer der „schlimmsten“ gewesen. Der Vater heiratete nach schicklicher Zeit eine Pfarrerstochter aus Gießen. Die nächste Eintragung besagt, dass Victor zusammen mit seinem Vater Jean Edouard nach der öffentlichen Prüfung im Morgengottesdienst des Sonntages Exaudi dann Pfingstsonntag, den 11.5.1856, bei Pfarrer August Grünewald seine Konfirmation und das erste heilige Abendmahl feierte. Als Privatier zog der Vater nach Homburg, ebenso der älteste Bruder. Louis Auguste, Oberlehrer für Fremdsprachen am Kaiserin-Friedrich-Gymnasium. Doch als von der Eingemeindung Dornholzhausens nach Homburg die Rede war, schrieb Victor: Ich bin Dornholzhäuser, Homburger will ich nicht sein.“

Zum 100. Geburtstag des Vaters legte Louis Auguste im Namen der Familie bei der Kreissparkasse einen unkündbaren Betrag von 100 Mark fest, von dessen Zinsen alljährlich zu Ostern der beste Schüler und die beste Schülerin von Dornholzhausen ein Geschenk bekommen sollte. 1957 legte das Landratsamt fest, dass das Geld von der Gemeinde verwaltet, aber von der Schule verteilt werden sollte.

Wann Victor und sein Bruder Charles Jean nach Amerika auswanderten, ließ sich nicht herausfinden, wahrscheinlich schon in jungen Jahren. Victor kam in New York zu Wohlstand. Eine kleine farbige Karte bezeichnet ihn als Händler (dealer) in ausländischen Büchern und Zeitschriften innerhalb eines Verlages International News Co., New York. Ab 1913 ließ er laufend Dornholzhausen Geldspenden zukommen, teils direkt, teils als Aufstockung der Familienstiftung. Am 30.4.1924 schloss er in New York einen Vertrag über eine Victor-Achard-Stiftung. Das Stiftungsgeld bei der hiesigen Sparkasse und der, bei der New Yorker Bank verwaltete Betrag, hat 2 Kriege, Inflation und Währungsreform überlebt und hat viele kleine und größere Beträge an die Schule, an die Dorfarmen und an die Vereine ausgezahlt. Jetzt, wo das Leben so teuer geworden ist, lohnen die kleinen Zinsbeträge nicht mehr die Überweisung, und das Restgeld wird der „Elternspende“ zugeschlagen, die davon allen von unserer Grundschule abgehenden Kindern ein Buchgeschenk kaufen soll. Das ist bestimmt im Geiste der Achards.

Rührend ist, wie Victor Achard sich um die Verwendung seines Geldes und das Leben in seiner Heimatgemeinde kümmerte. „Reicht das Geld nicht für einen gemeinsamen Tannenbaum und Kuchen für alle? Das wichtigste ist, dass die Bedürftigen etwas bekommen zum Durchhalten. Wenn etwas übrig bleibt, Brezeln für die Schulkinder vom Jüngsten aufwärts, soweit es reicht.“ Brezeln für die Kinder war eine sinnige Gabe. Die Schulkinder mussten nämlich früher brav mit überkreuz verschränkten Armen sitzen und man nannte dies das Brezelmachen. Auch Turnverein, Gesangverein und Feuerwehr erhielten Spenden.

Am 1.4.1925 beschloss die Gemeindevertretung in Dornholzhausen, die bisherige Sonnenbadstraße in Victor-Achard-Straße umzubenennen. Die Urkunde schickte aber Victor Achard an unsere Schule zurück, legte ein Bild von sich bei, das auf der Rückseite geklebt werden sollte und 5 Dollar für einen Rahmen, „denn meine Erben werden die Urkunde nicht lange in Ehren halten.“ Bei seinem letzten Kärtchen an Herrn Lehrer Flor ist seine hübsche und zierliche Handschrift stark verändert. Der letzte Satz: Gesund, aber alt, 85 Jahre, kann nicht mehr denken.“ Sein Todestag ist uns nicht bekannt.
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