Geschichte der Glocken der Waldenserkirche zu Dornholzhausen

Von Annemarie Bünte

Der Oberlehrer Louis Achard berichtet in der Dorfchronik von Dornholzhausen, dass bei der Einweihung unserer Kirche 1726 der kleine Dachreiter eine Glocke enthielt. Sie läutete über viele Jahrzehnte hin zu Gottesdienst, Gebet und Arbeit. Während das „Kinderheim Landgräfliche Stiftung“- jetzt im Bommersheimer Weg ansässig – seine Glocke aus dem Jahre 1745 noch besitzt und in Ehren hält, ist leider unsere Glocke von 1726 in den Stürmen der Zeit untergegangen.

1741 kaufte unsere Kirchengemeinde in Rodheim eine alte Turmuhr und eine zweite Glocke. Aber nicht immer hat man mit einem günstigen Kauf auch Glück. Die Glocke bekam bald einen Sprung und musste zerschlagen und als Glockenaltmetall verkauft werden. Für die Wartung der Turmuhr musste jeder Haushaltungsvorstand jährlich 10.Pfg. zahlen.
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Alle wichtigen Bekanntmachungen wurden im Dorf durch Glockenschlag angekündigt. Dabei ereignete sich 1748 folgendes: Dem David Heritier war von der Landgräflichen Canzley wegen Amtsanmaßung eine Strafe von 5 Gulden auferlegt worden. Eine hohe Strafe. Das Ortsgericht, der Schultheiß Jean Gallet, der Bürgermeister, der Schornsteinfeger, sie waren allesamt in die Sache verwickelt. David Heritier beauftragte nun jemanden, der im Schreiben gewandt und der deutschen Sprache mächtig war – mit den Behörden mussten die Waldenser nämlich in deutsch verkehren -, ein Gesuch zu schreiben. Er stellte dar, dass Heritier schon immer, wenn der Schultheiß abwesend war und es um Angelegenheiten von allgemeinem Interesse gegangen sei, auf eigene Faust die Dornholzhäuser mit dem Glockenschlag hätte zusammenrufen dürfen. Es half dem David Heritier „der ich in Getröstung gnädigster Erhörung in tiefstem Respect verharre, Ew. Hochfürstliche Durchlaucht unterthänigster treu gehorsamster“ nicht.

1792 starb im fernen Wien Leopold II., ein Sohn der Maria Theresia, ein guter, politisch kluger Monarch. Zu seinem Gedenken sollten einen Monat lang täglich alle Glocken von 11 Uhr bis Mittag läuten. Doch brachte der Glöckner nicht so viel Vaterlandsliebe auf, dass er diese Schufterei, natürlich unentgeltlich, auf sich nehmen wollte. So setzte sich Pfarrer Charles Ramus hin und schrieb eine Liste mit den Namen aller Familienväter auf – es waren 32 – und teilte jedem einen Läutetag zu. So kam Kaiser Leopold II. auch in Dornholzhausen zu der ihm gebührenden Ehrung.

Unser kleines Dornholzhausen zählte 1887 nur 276 Gemeindeglieder. Aber wirtschaftlich hatten sich die Verhältnisse gebessert. So kam man auf die Idee, ein mehrstimmiges Glockengeläut anzuschaffen. Also wurden fleißig Spenden gesammelt, hier im Ort und auch in befreundeten Gemeinden. Dazu brauchte man erst einmal statt des kleinen Dachreiters einen richtigen Kirchturm mit einer Glockenstube. Man entschied sich für den Entwurf des Kirchenbaumeisters Ludwig Hofmann aus Herborn. Die Glocken bestellte man bei der berühmten Firma F.W. Rincker in Sinn/ Dillkreis, die schon seit 500 Jahren eine Glockengießerei betrieb.

Als der Guss vollendet war, übernahm der Organist der Erlöserkirche, F. Schildhauer, begleitet von einigen Herren unseres Kirchenvorstandes, die Prüfung der vier Glocken. Sie waren wohlgelungen auf einen moll-Akkord gestimmt: auf gis, h, cis und dis. Blumengeschmückt konnten sie am 11. Juni 1913 von der Bahnstation Homburg abgeholt und in den Glockenstuhl hinaufgezogen werden. Pfarrer Höser hielt eine Andacht, und die Schulkinder sangen „Lobt froh den Herren“.

Die alte und bisher einzige Glocke mit dem Apostelbild erhielt nun die Aufgabe, die Kinder zur Schule zu rufen. Doch waren zu diesem Zeitpunkt die Arbeiten am Dach noch nicht fertig. Leider setzten an dem Tag, an dem das bisherige Dach und der kleine Dachreiter abgebrochen wurden, furchtbare Gewitter ein, so dass die Deckenlage durchweichte und Orgel, Kanzel und Kirchengerät in Gefahr gerieten. Die Dachdecker und Zimmerleute kümmerten sich aber nicht viel um die Unwetter, wurden dafür auch mit einer kleinen Zulage belohnt.

Am 29. Juni 1913 waren endlich alle Arbeiten abgeschlossen, auch der Innenraum der Kirche getrocknet und gereinigt, und der erste Gottesdienst galt nun der Turm- und Glockenweihe. Pfarrer Höser hielt eine große Festpredigt, und der Gesangverein „Liederkranz“ umrahmte die Feierstunde mit Chorälen.
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Die gis-Glocke wog 440 kg und hatte die Umschrift „Ehre sei Gott in der Höhe“, die h-Glocke, 200 kg schwer, trug die Inschrift „Friede auf Erden“. Die cis-Glocke wog 190 kg, ihre Umschrift lautete „Den Menschen ein Wohlgefallen“, sie war zugleich die mit der Uhr verbundene Läuteglocke. Die dis-Glocke wurde von der Familie Bertalot zum Andenken an ihre Eltern gestiftet. Sie wog 50 kg, und trug die Umschrift „Ist Gott mit uns, wer mag wider uns sein.“

Natürlich wurde genau festgelegt, wann welche Glocke zu läuten war. Die Dorfgemeinschaft hatte beschlossen, einen Zuschuss zum Läuten zu zahlen und die Kirchturmuhr in das Eigentum der Kirchengemeinde zu übertragen. Alle vier Glocken gemeinsam erklangen nur zu den hohen Feiertagen, zu Weihnachten, Ostern und zu Pfingsten.

Nur kurz konnten sich die Dornholzhäuser an dem vierstimmigen Geläut von 1913 erfreuen. Der 1. Weltkrieg brach aus, und der Reichsmilitärfiskus verfügte, dass alle Bronzeglocken unsere bestanden aus 78 % Kupfer und 22 % Zinn abzuliefern seien, damit man daraus Kriegsmaterial machen könne. Nur die mit der Uhr verbundene Läuteglocke sollten wir behalten dürfen. Pfarrer Höser berichtet in seiner Pfarrchronik, dass man das so genannte Apostelglöcklein wegen seines Kunstwertes, den Prof. Luthmer aus Frankfurt bestätigt hatte, auch belassen wollte „aber zuletzt wurde auch dieses enteignet.“ In der Zeit vom 11.-15. Juni 1917 wurden die großen Glocken im Turm zerschlagen und in Stücken hinabgeworfen. Auf vier Glocken war man so stolz gewesen! Magerer Trost, dass der Erlös aus dem Verkauf des Bronzemetalls eine höhere Summe ergab als die Glocken 1913 gekostet hatten.

Als 1924 die Inflation überstanden war, fassten Pfarrer Höser und die Gemeinde neuen Mut und bestellten wieder bei F.W. Rincker, Sinn/Dillkreis zwei neue Glocken. Sie wurden auch wieder von F. Schildhauer, dem Organisten der Erlöserkirche, geprüft. Die neue große auf gis gestimmte Glocke wog 560 kg und konnte aus Gemeindespenden bezahlt werden. Sie trug die Inschrift „Nach Krieg und Leid und harter Zeit ruf ich erneut zur Seligkeit.“

Die zweite, eine h-Glocke, 340 kg schwer, war ein Geschenk von Hegemeister Karl Kraus und seiner Frau Emma, geb. Fetter, zum Andenken an ihren am 27.10.1918 gefallenen Sohn Fritz und trug die Inschrift „Niemand hat größere Liebe denn die, dass er sein Leben lässt für seine Freunde“ und „Töne hinauf und heißen Dank und Gruß den gefallenen Helden.“ Der Kirchenvorstand verpflichtete sich zum Dank für diese Gabe dazu, dass am Todestag des jungen Mannes mittags und abends und ebenso auch am Totensonntag nach dem offiziellen Geläut die Fritz-Kraus-Glocke je zehn Minuten allein geläutet werde. Zusammen mit der cis-Glocke von 1913 hatte man in Dornholzhausen also wieder ein schönes Geläut. Allerdings mussten neue Klöppel angeschafft werden, da die neuen Glocken schwerer waren als die vorhergehenden.

Die neuen Glocken wurden kostenlos von hiesigen Fuhrleuten eingeholt und zunächst am Sonnabend auf den Schulhof gebracht. Der Gartenbaubetrieb Karl Bohrer hatte für eine hübsche Dekoration gesorgt, und am Sonntag, dem 4. Advent, 19. Dezember 1926, nahm Pfarrer Hief mit einem schönen Gottesdienst die feierliche Glockenweihe vor. Zum Schluss sangen alle, Gemeinde, Kirchenchor, die Mädchen von Haus Elim und die Schulkinder „Nun danket alle Gott.“

Die Glocken läuten stetig. Sie teilen den Tag, die Woche, das Kirchenjahr ein. Aber die politischen und wirtschaftlichen Verhältnisse in der Weimarer Republik sind mehr als schwierig geworden. 6 Millionen Arbeitslose! Zu allem Über wird auch noch 1933 mit durchaus demokratischen Mitteln Adolf Hitler zum Reichskanzler ernannt. Als Österreicher war er von Hause aus katholisch, führte auch dauernd „die Vorsehung“ im Munde, war aber alles andere als kirchenfreundlich. Am 27. September 1933 wurde der Wehrkreispfarrer Müller von der regierungstreuen Bewegung „Deutscher Christen“ zum Reichsbischof der evangelischen Kirche gewählt. Unser Gemeindepfarrer Hans Hief wehrte sich dagegen, und als einziger diensttuender Pfarrer in unserem Dekanat gehörte er dem „Pfarrernotbund“, später der „Bekennenden Kirche“ an.

Hitler in seinem Größenwahn und seinen Siegesphantasien brach dann 1939 den 2. Weltkrieg vom Zaun. Gleich 1940 sollten die Kirchenglocken wieder registriert und abgeliefert werden. Das Glockenmaterial sollte wieder zur Herstellung von Kartuschen für Granaten verwendet werden. Aber dieses Mal kam die Aufforderung zur Ablieferung nicht vom Militärfiskus, sondern von der willfährigen Evangelischen Landeskirche Nassau-Hessen/Wiesbaden! Erhalten blieb uns nach dieser Aktion nur die für die Zivilgemeinde wichtige kleine Schlagglocke von 1913.
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„Durch freiwillige Spenden der Gemeindeglieder konnten am Totensonntag und 1. Advent 1957 die zum dritten Mal neugegossenen „gis“- und „h“-Glocken in den Dienst gestellt werden.“ (Wortlaut aus der Kirchenchronik Dornholzhausen). Die große Glocke trägt die Aufschrift: „Gedächtnisglocke für die Gefallenen, Vermissten und Gestorbenen. Sie ist geschmückt mit dem Symbol „Kreuz und Krone“ und trägt die Umschrift des Lutherliedes: „Verleih uns Frieden gnädiglich!“ Die zweite Glocke trägt die Aufschrift: „Waldenserglocke zur Erinnerung an die Väter und Zeugen des Glaubens.“ Sie ist geschmückt mit dem Symbol und Wahlspruch der Waldenser: „Lux lucet in tenebris“ (das Licht leuchtet in der Finsternis) und trägt als Umschrift den Bibelvers: „Herr, bleibe bei uns, denn es will, Abend werden!“ (Lukas 24, 29).

Für uns ist es eine idyllische Vorstellung, wenn der Glöckner mit der Hand am Seil die Glocke zum Schwingen und Klingen bringt. Aber die Dornholzhäuser waren damit nicht zufrieden. Besonders wenn Kinder mit dem 18-Uhr-Läuten beauftragt waren, dann war von Pünktlichkeit keine Rede. Also beschloss man 1941, eine elektrische Läuteanlage bei den „Herforder Elektricitätswerken“ zu bestellen, die vorsorglich dafür ausgelegt werden sollte, dass sie 3 Glocken unabhängig von einander bedienen konnte. Selbstverständlich war das Materiallager der Firma von der Kriegswirtschaft leer geräumt worden. Durch persönliche Beziehungen der Pfarrers konnten „Bezugsscheine“ für 150 kg Eisen und 25 kg Altkupfer beschafft werden, und außerdem machte man eine erste Anzahlung von 570 RM Das war alles nicht so einfach. 1948 wurde die Bestellung erneuert, aber inzwischen hatte unsere Anzahlung durch die Währungsreform vom 20. Juni 1948 ihren Wert verloren. Auch die 1941 übersandten Eisenbezugsscheine waren in den letzten Kriegsmonaten beschlagnahmt worden. Endlich am 23.8.1960 (!) konnte die Läutemaschine „Voco-Omega“ mit Anschluss an 220/380 Volt Drehstrom geliefert werden. Es lässt sich denken, dass, als Anfang 2002 die Glocken-Läutemaschine erneuert werden musste und dank der Spenden aus der Gemeinde auch finanziert werden konnte, dies sehr viel unproblematischer vor sich ging.
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