Zeit des Bekennens 1933-1945

von Gerda Meyer zu Ermgassen geb. Hief

Ein Kind wird von seiner Mutter zum Einkaufen beim Gärtner geschickt. Um es nicht zu verlieren, hält es das Geld fest in der geschlossenen rechten Hand. Unterwegs begegnet ihm in der Valkenierstraße Herr R., der als strammer Nazi bekannt ist. Bei ihm fühlt sich das Kind zum Hitlergruß verpflichtet, aber seine zur Faust geformte Rechte scheint ihm dazu nicht recht geeignet. Erst unsicher, aber dann entschlossen hebt es also die Linke, ruft dem Mann mit dem Parteiabzeichen den Deutschen Gruß zu, der sich wie „Heitler!“ anhört. Aber statt des erwarteten Gegengrußes schnauzt Herr R.: „Weißt du nicht, dass man den Deutschen Gruß mit der rechten Hand leistet?“ – So nahm schon ein Kind die typische Atmosphäre der Einschüchterung im Dritten Reich wahr.

Dieses Kind war ich, Tochter des Pfarrers von Dornholzhausen, geboren 1935. Vielleicht beantwortet mein kleines Erlebnis die Frage, was denn jemand, der im Dritten Reich erst geboren ist, über diese Zeit zu berichten hätte. Solche eigenen Erfahrungen, nachträgliche Erzählungen der Eltern und der älteren Schwester ergeben zusammen für mich doch ein Bild jener Zeit. Meine persönlichen Erinnerungen habe ich zudem aus nachgelassenen Papieren oder durch Auskünfte aus dem Pfarrarchiv bzw. der Pfarrchronik von Dornholzhausen ergänzen und absichern können. Hilfreich waren auch eine den Kirchenkampf betreffende Dokumentation der Evangelischen Landeskirche und allgemeine Darstellungen von Zeitzeugen.

Es kann hier allerdings nicht über einen Abschnitt aus der Geschichte der Gemeinde berichtet werden, ohne gelegentlich auf den gesamt-historischen Hintergrund einzugehen, vor dem sich die Ereignisse abspielten. Auf der anderen Seite muss auch von einzelnen Personen aus dem Ort gesprochen werden; so auch vom Pfarrer, dem seine Überzeugung eine bestimmte Rolle zuwies. Denn mit der Machtergreifung der Nationalsozialisten begannen für viele Pfarrer und ihre Gemeinden sehr bald die Auseinandersetzungen, die als „Kirchenkampf“ bekannt geworden sind. Wer aus der evangelischen Pfarrerschaft dem politischen Regime kritisch gegenüberstand, befand sich bald zwischen zwei Fronten. Denn die Kirchenregierungen waren zum Teil von den sog. „Deutschen Christen“ beherrscht, die sich – besonders im damaligen Nassau-Hessen – die Ideologie der neuen Machthaber zu eigen gemacht hatten. Daher schlossen sich die oppositionellen Kräfte in der Kirche gegen den Nationalsozialismus bereits 1933 zum „Pfarrernotbund“ und später zur „Bekennenden Kirche“ zusammen.
Hans Hief (1886-1974) Pfarrer in Dornholzhausen von 1926 bis 1956.Hans Hief (1886-1974) Pfarrer in Dornholzhausen von 1926 bis 1956.
Pfarrer von Dornholzhausen war von 1926 bis 1956 Hans H i e f (1886-1974). Er, der schon 1928 Adolf Hitlers „Mein Kampf“ gelesen hatte und entsetzt war über die Grundsätze, die dort in dem Artikel über Propaganda geäußert werden, hat nie glauben mögen, „dass Nationalsozialismus und Christentum zusammenpassten„. So schreibt er selbst in der Chronik. Im Pfarrarchiv finden sich heute noch Materialien, die er – vor allem in den ersten Jahren des zunächst innerkirchlichen Widerstandes – gesammelt hat. Es handelt sich um Flugblätter, Denkschriften, Rundschreiben des Pfarrernotbundes und der Bekennenden Kirche; aber es finden sich auch einige ganz persönliche Schreiben, die zeigen, welcher Art die Auseinandersetzungen mit der vorgesetzten Kirchenbehörde waren. Ein Beispiel sei angeführt: gegen einen Erlass vom 2. Januar 1934, der den Pfarrern der Evangelischen Landeskirche in Nassau jede kirchenpolitische Betätigung untersagte, protestiert Pfarrer Hief am 5. Januar 1934 in einem förmlichen Schreiben und äußert sich dann zu der Wahl des neuen Reichsbischofs mit folgenden deutlichen Worten: auf dem Wege zur scheinbaren Einigung der evangelischen Kirche lag zuviel Vergewaltigung der Gewissen und Versündigung um Geiste des Evangeliums, als dass man sich damit einfach hätte abfinden können. Ich sehe, gebunden an mein Ordinationsgelübde, meine Aufgabe darin, das Wort Gottes Alten und Neuen Testaments meiner Gemeinde unverfälscht zu verkündigen. Wenn mich mein an der Heiligen Schrift orientiertes Gewissen zwingt, gegen offensichtliche Missstände (auch kirchliche) ein Wort zu sagen, oder wenn mich meine Pfarrkinder ständig fragen, was in der Kirche vorgehe, so kann ich mir durch keine menschliche Autorität den Mund verschließen lassen. Wie das System mit Kritik umging, wird an diesem Beispiel deutlich: diese Stellungnahme wurde von der Kirchenbehörde als Dienstpflichtverletzung bezeichnet und mit einer Geldstrafe belegt. Bereits aus einem Rundschreiben des „Not- und Treubundes nassauischer Pfarrer“ vom 11. Januar 1934 ist ersichtlich, dass mein Vater schon sehr früh diesem Bund angehörte, und er blieb auch dabei, als im Juli 1934 die Mitgliedschaft durch den Landesbischof verboten wurde. Außerdem soll er, wie mir gesagt wird, als einziger diensttuender Pfarrer des Dekanats Bad Homburg Mitglied der Bekennenden Kirche gewesen sein.

An dieser Stelle ist eine Eingabe vom November 1933 an die Kirchenleitung zu erwähnen. Sie erklärt sich aus der auch damals sehr wachen Tradition der reformierten Waldensergemeinde: bei Umgestaltung der Deutschen Evangelischen Kirche unterstellt sich die französisch-reformierte Gemeinde Dornholzhausen zugleich mit dem benachbarten Friedrichsdorf dem „Reformierten Bund“. Es war ein Versuch, Distanz zu den nationalsozialistischen Einflüssen in der Kirche zu finden, da nämlich die Gemeinden mit reformiertem Bekenntnisstand den Bischöfen und ihren Unterführern in Sachen des Bekenntnisses und der daraufberuhenden Ordnungen…nicht unterstellt sind. Ein entsprechender Aufruf des Reformierten Bundes ist im Pfarrarchiv erhalten.

Über die damalige Situation im Dekanat Bad Homburg heißt es in der Chronik: In den Jahren, in denen die Pfarrerschaft umso fester hätte zusammenstehen müssen, fehlte fast jeder Zusammenhalt. Am 1. Dezember 1933 war der langjährige Homburger Dekan Holzhausen in Pension gegangen. Sein Nachfolger wurde Dr. Karl Jäger (Köppern), Bruder des berüchtigten Staatskommissars für die Evangelischen Kirchen Preußens. Aus einem Briefkonzept des Dornholzhausener Pfarrers, ebenfalls im Pfarrarchiv, soll hier zitiert werden: Ich wünsche von ganzem Herzen, dass Sie in Ihrer Eigenschaft als Dekan die Kollegen, sich mit Ihnen auf die gleiche nationale Ebene stellen, aber aus Gewissensgründen heraus andere Wege zur Volksseele glauben einschlagen zu müssen, als sie Ihnen vorschweben, Verständnis haben möchten, oder doch zum mindesten ihre ehrliche Überzeugung achten und ehren. Ohne diese Einstellung kann ich mir ein gedeihliches Zusammenarbeiten nicht vorstellen. Die Befürchtungen, die hier angedeutet werden, haben sich in der Amtszeit Jägers, die bis 1945 dauerte, leider bestätigt.

Wie die Bevölkerung von Dornholzhausen den Tag der Machtergreifung im Januar 1933 begangen hat, erfahren wir aus der Chronik: Der Tag von Potsdam, an dem Hitler den Eid auf die Verfassung leistete, wurde in ganz Deutschland mit innerer Anteilnahme miterlebt. Hier in Dornholzhausen fand abends ein Fackelzug statt, der seinen Abschluss fand in einer stillen Feierstunde in unserer Kirche, wo wir all unsere heißen Anliegen für unser Volk vor Gottes Angesicht brachten. Wir ersehen daraus: in dem kleinen Ort (Dornholzhausen hatte damals etwa 450 Einwohner) gab es zunächst noch keine Konfrontation zwischen Anhängern und Gegnern des neuen Regimes. Für die Einwohner von Dornholzhausen äußerte sich die politische Veränderung zunächst nur darin, dass man jetzt statt in der Hauptstraße in der Adolf-Hitler-Straße wohnte. Und es gab eine „Hitlereiche“ auf dem kleinen Platz Ecke Lindenstraße / Victor-Achard-Straße; nach dem Krieg wurde dort beim 250-jährigen Ortsjubiläums eine Linde gepflanzt und der Platz „Landgraf-Friedrich-Platz“ genannt. Auch wir Kinder erfuhren augenfällig die Zeichen der neuen Zeit: im Schulraum der einklassigen Volksschule hatte der Lehrer auf der Nähmaschine – einem Altartuch gleich – eine Hakenkreuzfahne ausgebreitet, darauf stand eine Hitlerbüste aus Sandstein, daneben lag Hitlers Programmschrift „Mein Kampf“; dieses Arrangement hatten die Schüler nun täglich vor Augen. Außerdem besaßen auch bald alle Häuser ihre Hakenkreuzfahnen, sie prägten das Ortsbild, wenn zu Führers Geburtstag, Heldengedenktag und anderen nationalen Feiertagen die Beflaggung der Häuser angeordnet war.

Doch dies waren ja Äußerlichkeiten. Für die Kirchengemeinde wurde die Lage jedoch insofern bald schwieriger, als nun allmählich Druck von Organen und Organisationen der NSDAP auf das Gemeindeleben spürbar wurde und die Arbeit erschwerte. Aus der Chronik erfahren wir, wie man nun zum Angriff auf die Kirche überging: z.B. wurden in örtlichen Versammlungen hämische Bemerkungen über Kirche und Christentum gemacht. … Mit Absicht wurden Kundgebungen auf die kirchliche Zeit verlegt und es gehörte schon Mut dazu, mit dem Gesangbuch in der Hand beim Gang zur Kirche den Demonstrationszug der Partei zu kreuzen. Man darf vermuten, dass die Provokationen nicht allein auf die Initiative örtlicher Gruppen zurückzuführen sind, sondern von überörtlichen Stellen gesteuert wurden. Das gilt sicher für die Propaganda für Kirchenaustritte, deren Zahl nach Auskunft der Chronik gering blieb. Und es trifft wohl auch auf die Bespitzelung des Pfarrers in der Kirche ebenso zu wie auf die Beschlagnahme von Kollekten. Auch bestimmte Bereiche der Gemeindearbeit waren durch Maßnahmen von oben betroffen: Im Pfarrarchiv befindet sich folgendes Schreiben des Landrats vom 10. Februar 1934 an die Bürgermeister als Ortspolizeibehörden: Zur Aufrechterhaltung der öffentlichen Ordnung verbiete ich für den Obertaunuskreis hiermit den konfessionellen Jugendverbänden jedes geschlossene Auftreten in der Öffentlichkeit, sowie bis auf weiteres jede sportliche oder volkssportliche Betätigung… W. Prinz von Hessen. In einem Rundschreiben ordnet sodann der Landesjugendpfarrer im Auftrag des Reichsjugendführers an, dass die bestehenden kirchlichen Jugendorganisationen am 4. März 1934 feierlich in die HJ oder in den BDM eingegliedert werden sollen. Die NS-Frauenschaft trat in Konkurrenz zur Evangelischen Frauenhilfe und fand auch in Dornholzhausen einige Anhängerinnen.

Wie verhielt sich nun die Mehrheit der Gemeindeglieder? Man kann wohl sagen, dass die meisten, auch wenn sie sich vom kirchlichen Leben zurückhielten, weil sie Nachteile befürchteten, eher unentschieden oder allenfalls „Mitläufer“ der Nazi gewesen sind. Die wenigen fanatischen Nazis im Ort kannte jeder, und ich glaube, dass zehn Finger ausreichen, um sie aufzuzählen. Demgegenüber gab es auch treue Gemeindeglieder, die sich nicht einschüchtern ließen. Zur Stellung des Presbyteriums soll hier der Pfarrer mit einer Passage aus der Chronik selbst zu Wort kommen: …dankbar soll hier festgestellt werden, dass in der kritischen Zeit das Presbyterium treu zu seiner Kirche und zu seinem Pfarrer stand. Bürgermeister und Presbyter K. Heinzelmann wurde vom Presbyterium aus freien Stücken beurlaubt, um ihn der Gemeinde als Bürgermeister zu erhalten. Er hatte als Bürgermeister Einsicht in den Betrieb und die Pläne der Nazi und hat das Presbyterium immer auf dem Laufenden gehalten. Dafür sei ihm Dank gesagt. Das geschah z. B. in der Weise, dass er den Pfarrer unter einem Vorwand zu sich bestellte und dann wie von ungefähr bestimmte Schriftstücke auf dem Schreibtisch offen liegen ließ, die sich auf eine bevorstehende Abhörung im Gottesdienst oder ähnliche Vorhaben der Nazi bezogen. Nach 1945 hat Karl Heinzelmann zwar sein Presbyteramt wieder aufnehmen können, musste aber aus politischen Gründen leider auf das Bürgermeisteramt verzichten, obwohl sich der Pfarrer bei den zuständigen Stellen für ihn einsetzte und sich für seine Integrität verbürgte. Über einen anderen Presbyter wird berichtet: Kaufmann August Desor sollte, da er dem Namen nach Mitglied der NSDAP war, sein Amt als Presbyter niederlegen. Desor widerstand tapfer und erklärte, er bleibe der Kirche seiner Väter treu; wenn man ihn unter diesen Umständen nicht ertragen könnte, möge man ihn aus der Partei ausschließen. Da liej3 man ihn in Ruhe.

Trotz der Erschwerungen fand kirchliches Leben weiterhin statt Die Abende der Frauenhilfe wurden nach wie vor im Pfarrhaus abgehalten, ein gemischter Chor, der an den Festtagen im Gottesdienst sang, fand sich unter der Leitung der Pfarrfrau auch weiterhin zusammen. Alljährlich wurde wie bisher zu Weihnachten ein Krippenspiel aufgeführt. Auch das Erntedankfest wurde gefeiert, anfänglich offensichtlich sogar noch in allgemeinem dörflichem Rahmen mit einem größeren Umzug und zwar, wie Fotos beweisen, gemeinsam mit uniformierten Parteigenossen. Auch Gemeindeausflüge sind, wie wir aus überlieferten Fotos schließen können, offensichtlich durchgeführt worden. Aus den Familien, die der Kirche noch angehörten, gingen die Kinder ausnahmslos zur Konfirmation.

Überschattet war während der NS-Zeit das früher gute Verhältnis zu den Diakonissen im „Haus Elim“. Seit 1897 bestand – anfangs sogar unter der Schirmherrschaft der Kaiserin Friedrich – in Dornholzhausen ein Mädchenpensionat. Das Haus wurde von Marburger Diakonissen geleitet. Die Führung des Mutterhauses unter dem Pfarrer Krawielitzki folgte bedingungslos und begeistert den neuen Machthabern und mit ihm auch ein großer Teil besonders der jüngeren Diakonissen. Es ist nicht verwunderlich, dass das gelegentlich zu Spannungen führte. Während des Krieges wurde im „Elim“, das inzwischen den Namen „Haus Taunusblick“ führte, ein Lazarett eingerichtet, das von den Schwestern vorzüglich geführt und von den dort betreuten Soldaten aufs Höchste gelobt wurde. Und wenn sich in dieser Zeit einige Frauen aus dem Dorf dort zur Unterstützung der Schwestern regelmäßig zu einer Art Nähstube zusammenfanden, so spielte dabei Religions- oder Parteizugehörigkeit keine Rolle. Nach dem Krieg normalisierte sich das Verhältnis schnell wieder und manche Gemeindefeiern konnten mangels eines eigenen Gemeinderaumes im Haus Taunusblick durchgeführt werden.

Schwierig gestaltete sich auch das Verhältnis zum Lehrer und Nachbarn Wilhelm Helwig, der traditionsgemäß das Amt des Organisten innehatte. Helwig, seit 1932 in Dornholzhausen, war überzeugter Nationalsozialist. Nachdem er bereits sein Organistenamt niedergelegt hatte, war er mit seiner Familie aus der Kirche ausgetreten, wodurch sich die bisher guten nachbarschaftlichen Beziehungen naturgemäß verschlechterten. Nachdem die Pfarrfrau vorübergehend den Organistendienst versehen hatte, war in August Desor II ein bestallter Nachfolger gefunden worden. Aber nun weigerte sich Helwig, auf den kircheneigenen Garten hinter der Kirche, den er als Teil der Organistenbesoldung innehatte, zu verzichten. Rechtliche Schritte der Gemeinde hatten keinen Erfolg. Weil der Lehrer auswärts andere Aufgaben zu erfüllen hatte, wurde im Sommer 1943 die Dorfschule geschlossen, und die Kinder mussten die Landgraf-Ludwig-Schule in Bad Homburg besuchen. Dennoch behielt die Familie Helwig weiterhin den Organistengarten, Desor hat ihn erst nach dem Krieg bekommen. Nach 1945 kehrte Helwig nicht wieder nach Dornholzhausen zurück. Seine Frau verließ den Ort sehr bald. Auf ihre Bitte wurde die jüngste, fünfzehnjährige Tochter im Pfarrhaus aufgenommen, sozusagen als „Stütze der Hausfrau“. Sie nahm am Konfirmandenunterricht teil und wurde im folgenden Frühjahr konfirmiert. Dies erwähne ich, um zu zeigen, dass man damals – und dies gilt nicht nur für das Pfarrhaus – versöhnungsbereit war und versuchte, nach Möglichkeit die unerfreulichen Ereignisse der NS-Zeit bald zu überwinden.

Wie alle, die mit dem Regime nicht einverstanden waren oder aus rassistischen Gründen ausgegrenzt wurden, mussten auch die Pfarrer und besonders jene, die sich im innerkirchlichen Widerstand engagierten, bis zum Ende des Naziregimes in ständiger persönlicher Unsicherheit leben. Die Teilnahme an Versammlungen der Bekennenden Kirche z. B. war ein Risiko. Im November 1938, offensichtlich unter dem Eindruck der Ereignisse der Reichspogromnacht, schreibt eine verwandte Pfarrfrau: – Wann wir? Sonst ging man in der privaten Korrespondenz auf die politische Situation kaum ein. Eine Bemerkung wie die folgende vom Februar 1934 ist selten, doch sehr bezeichnend für die Pfarrer und ihre Familien: Von all dem, was uns in kirchlichen Sachen so sehr auf dem Herzen brennt, kann man nicht viel schreiben. Wie gern würde man sich aber mit Gleichgesinnten austauschen. Von allen Verwandten fließen die Nachrichten… spärlich, wahrscheinlich in erster Linie darum, weil man so wenig von dem schreiben kann, was einen zumeist bewegt. Nachdem im September 1933 in der Leitung der Evangelischen Landeskirche in Nassau ein erzwungener Wechsel stattgefunden hatte, mussten oppositionelle Pfarrer mit Strafmaßnahmen rechnen, im schlimmsten Fall Versetzungen und Amtsenthebungen. Stellenbesetzungen und Umstrukturierungen der Gemeinden erfolgten unter Ausschluss des Dienstweges „von oben“. Vielleicht kann man so auch die folgende Briefstelle meiner Mutter vom 23. September 1934 verstehen: Seit ein paar Wochen müssen wir fürchten, dass wir nicht in Dornholzhausen bleiben können. Die Kirchenleitung plante nämlich, meinen Vater auf die vakante Stelle in Oberstedten zu versetzen. Meine Mutter schreibt weiter: Unsere Pfarrei soll als solche eingehen und von Homburg aus mitversehen werden. Dazu schreibt am 7.März 1935 mein Vater selbst: Seit dem 1. November war ich 84mal in Oberstedten. Wie lange die Mitversehung noch dauern wird, kann ich heute noch nicht sagen. Vielleicht lässt man mich als Notbundpfarrer auch absichtlich zappeln. – Die Mitversehung von Oberstedten wurde meinem Vater zwischen 1934 und 1944 dreimal – insgesamt 36 Monate – übertragen.

Mitbürger jüdischen Glaubens oder jüdischer Abstammung hat es in Dornholzhausen nicht gegeben. Es soll aber erwähnt werden, dass sich zwei jüdische Frauen aus Bad Homburg unter dem Druck des Dritten Reiches vom Dornholzhausener Pfarrer haben taufen lassen. Der Verfolgung sind sie dennoch nur durch Auswanderung entgangen.

Der Krieg setzte andere Akzente im Gemeindeleben. Nicht wenige Männer wurden zum Kriegsdienst eingezogen. Die Luftangriffe auf das nahe Frankfurt haben wir sehr bewusst miterlebt. Bis heute kann ich keine Sirene hören, ohne daran erinnert zu werden, und das Motorengeräusch der „feindlichen“ Flugzeuge habe ich noch genau im Ohr. Man gewöhnte sieh an den Anblick von Militär und Kriegsfahrzeugen. In dem kleinen Dorf Dornholzhausen gab es in den letzten Kriegsjahren nicht weniger als drei Lazarette: außer Haus Taunusblick das Hotel Adler und das ehem. Allianz-Ferienheim. Gelegentlich wurden auch Soldaten in die Häuser einquartiert. Auch die Kirchengemeinde hatte ihren Tribut an den Moloch Krieg zu leisten. Die beiden Glocken, die erst am 2. Advent 1926 feierlich von der Gemeinde eingeholt worden waren, mussten wieder abgegeben werden, es blieb nur die mit dem Schlagwerk der Uhr verbundene kleinere Glocke. Um den alten Kronleuchter aus Messing vor einem ähnlichen Schicksal zu bewahren, wurde er vorsorglich abgenommen und in zerlegtem Zustand versteckt. Als es in den letzten Kriegsjahren galt, Ausgebombte und Evakuierte im Dorf unterzubringen, wurde der Bürgermeister von den Funktionären, welche die Quartiere zu beschaffen hatten, ausdrücklich auf das Pfarrhaus hingewiesen. Aber da hatte sich das Pfarrerehepaar, um einer Zwangseinquartierung zuvorgekommen, bereits selbst um eine ausgebombte Familie bemüht.

Die Kriegszeit brachte für den Pfarrer von Dornholzhausen auch zusätzliche Aufgaben. Ab 1940 war an der Erlöserkirchengemeinde in Bad Homburg einschließlich der Gemeinde der Gedächtniskirche von den ehemals drei Pfarrstellen nur noch eine besetzt. Mein Vater musste nun auch in Bad Homburg Amtshandlungen übernehmen: bis über das Kriegsende hinaus hat er insgesamt sieben Jahrgänge Homburger Kinder unterrichtet und konfirmiert und viele Beerdigungen auf dem Waldfriedhof gehalten, der damals für ihn nur mit dem Fahrrad zu erreichen war. Außerdem hat er, wie schon in den Jahren zuvor, die Patienten im Kreiskrankenhaus weiter regelmäßig seelsorgerlich betreut und auch in Homburger Lazaretten Weihnachtsfeiern gehalten.

In den ersten Wochen des Jahres 1945 zeichnete sich für den nüchternen Beobachter das nahe Ende des Krieges ab. Verstärkt suchten Menschen ein Unterkommen, die ausgebombt oder evakuiert waren und bald auch solche, die angesichts der drohenden Gefahren vor den heranrückenden Fronten flüchteten. Man sah immer häufiger Soldaten im Dorf, manchmal zogen sie nur durch, gelegentlich wurden sie auch einquartiert wo immer sich Platz bot: in Scheunen, auf Dachböden. Die Keller wurden hergerichtet für längere Aufenthalte, dort saß man nun öfter, manchmal mit diesen fremden Menschen zusammen. Kerzen- und Petroleumlicht wegen Stromausfall kannten wir schon von den Luftangriffen her, aber nun wurde es fast zur Regel. Wohl dem, der Vorräte hatte. Nur wenige Uneinsichtige wollten das bevorstehende Ende nicht wahrhaben und redeten sich und anderen ein, dass der Führer nun bald seine Wunderwaffe einsetzen würde. Man erwog sogar, die Karlsbrücke zu sprengen, um den „Feind“ aufzuhalten.

Am Karfreitag, gerade als sich der Kirchenchor im Wohnzimmer des Pfarrhauses für den Gottesdienst einstimmte, fuhren die ersten Panzer der Amerikaner durch die Dorfstraße – von niemandem gehindert. Damit war für Dornholzhausen nicht nur der Krieg sondern auch das „Dritte Reich“, das sich selbst das „Tausendjährige“ genannt hatte, zu Ende gegangen.
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